- Hochhaus: Entwicklung einer Bautechnik
- Hochhaus: Entwicklung einer BautechnikSchon früh hat es Menschen gereizt, ein dauerhaftes und weithin sichtbares Zeichen zu setzen und hoch zu bauen. Die Stapelung von nutzbaren Flächen in Form von sehr hohen Häusern setzt jedoch grundsätzlich die Entwicklung leistungsfähiger Materialien und Konstruktionen sowie entsprechende Gebäudetechnik voraus. Viele der Erfindungen aus der Zeit der industriellen Revolution wurden erstmals in dem neuen Gebäudetyp Hochhaus zusammengeführt, so zum Beispiel der Aufzug, das Telefon, die elektrische Beleuchtungsanlage.Chicago und New YorkHistorisch betrachtet, stellt das Hochhaus als Bautypus bis weit in das 20. Jahrhundert eine speziell amerikanische Entwicklung dar. Im Verlauf der Zeit wurden für eine maximale Grundstücksausnutzung immer höhere Türme in das innerstädtische Straßenraster der Metropolen eingepasst. Vor allem in zwei Städten, zugleich den wesentlichen wirtschaftlichen Drehscheiben des Landes, wurde die Entwicklung von Hochhäusern vorangetrieben: in Chicago und New York. Der Hochhausbau setzte in den 70er-Jahren des 19. Jahrhunderts in Chicago ein, zunächst mit konventionell gemauerten Bauten.Ein erster Höhepunkt ist das »Monadnock Building«, 1891/92 von den Architekten Daniel H. Burnham und John W. Root in Chicago errichtet. Um das Gewicht der 16 Stockwerke zu tragen, mussten die Wände im Erdgeschoss fast 2 m dick sein. Die statischen Möglichkeiten des Backsteins setzten größeren Höhen Grenzen, und durch die kleinen Fensteröffnungen wurden die Räume schlecht belichtet. Für die Weiterentwicklung war demnach eine Optimierung der Tragkonstruktion notwendig. Skelettsysteme wurden entwickelt und damit die Trennung von Tragwerk und Gebäudehülle. Für die Ausführung leistungsfähiger Skelettbauten verwendete man das Guss- und anschließend das Schmiedeeisen. Das traditionelle Bauprinzip kehrte sich nun um. Aus den dicken Mauern mit eingelassenen Öffnungen entstanden filigrane Tragwerke mit Füllungen aus vorgefertigten Fassadentafeln und Glasflächen.Eine Zäsur in der Entwicklung der gusseisernen Hochhäuser wurde durch den großen Brand von Chicago 1871 ausgelöst. Bekannteste Persönlichkeit in der Wiederaufbauphase der Stadt wurde William Le Baron Jenney. Er begründete 1880 die Bewegung der »Chicago School of Architecture«. Leitgedanke war, die Gestalt eines Gebäudes aus der funktionalen Lösung abzuleiten. Stellvertretend hierfür ist sein »First Leiter Building« von 1878/79. Erstmalig versuchte er, das tragende Gerüst in der Erscheinung des Gebäudes sichtbar werden zu lassen. Der Fassadenausdruck bleibt weitgehend schmucklos. In Jenneys Büro haben zudem alle wichtigen Vertreter der Chicagoer Schule gearbeitet, darunter der Architekt Louis H. Sullivan, der speziell durch seine Aussage »form follows function« (die Form richtet sich nach der Funktion) Bekanntheit erlangte.Neue Impulse im Hochhausbau gingen mit dem Ende des 19. Jahrhunderts von New York aus. Hier bevorzugte man ausgeprägt dekorative Ausdrucksformen, orientiert an den Stilen in Europa. Herausragendes Beispiel ist das 1913 von Cass Gilbert fertiggestellte »Woolworth Building«. Den für damalige Verhältnisse gigantischen Turm von 235 m Höhe ließ er in neugotischem Stil errichten. Befreit von grundlegenden technischen Schwierigkeiten entstanden so bis ins kleinste Detail gestaltete Gesamtkunstwerke bis in die 20er-Jahre hinein. In den 30er-Jahren erlangte jedoch der Wunsch, durch Höhe zu repräsentieren, Priorität. So entstand in New York unter anderem 1930/31 das 381 m hohe »Empire State Building« von Shreve, Lamb & Harmon. Die 102 Geschosse wurden in nur 13 Monaten fertig gestellt, das Stahlskelett selbst in weniger als einem halben Jahr. Dies ließ sich nur mit industriell vorgefertigten, weitgehend gleichen Bauelementen bewerkstelligen. Um wirklich für lange Zeit das höchste Gebäude errichtet zu haben, wurde der Spitze zusätzlich ein 60 m hoher Ankermast für Zeppeline aufgepflanzt.Ein Bautyp setzt sich durch - Der internationale StilIm Bauboom nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Vorfertigung noch stärker standardisiert. Durch den Einsatz moderner Materialien, wie etwa Aluminium, in technisch perfekter Verarbeitungsqualität entstanden Hochhäuser mit schmucklosen Oberflächen und großen Glasflächen: Der »International Style« war erfunden, der erste Stil, der sich weltweit durchsetzte. Das Hochhaus ermöglichte nun, durch den Einsatz der kurz zuvor erfundenen Klimaanlage, die Abkoppelung von den Wetterbedingungen und der Sonneneinstrahlung. Der Bautypus Hochhaus wurde endgültig zu einer isolierten Einheit, zu einer Stadt in der Stadt. Die Vorhangfassade, Curtainwall genannt, setzte sich durch, das bedeutet eine glatte, leichte Außenhaut, die konstruktiv und technisch unabhängig vor die eigentliche Tragstruktur des Hochhauses gehängt wurde. Einer der wenigen Architekten, der den Vorhangfassaden noch ein eigenständiges Aussehen verliehen hat, war der 1938 aus Deutschland in die USA emigrierte Architekt Ludwig Mies van der Rohe. Vorbild für viele Kollegen wurde dessen 1954-59 gebautes »Seagram Building« in New York. Die Verwendung von Messing in der Außenhaut verleiht dem Gebäude eine besondere Eleganz. Die auf die glatte Hülle aufgesetzten Profile steigern durch ihre enge Reihung den vertikalen Ausdruck. Je nach Lichteinfall und Blickwinkel ergeben sich unterschiedliche Wirkungen.Optimierte Skelettsysteme, ausgeführt in verbesserten Stahlsorten und höheren Betongüten, ermöglichten dann in den 60er-Jahren neue Bauhöhen. So wurden unter anderem die Zwillingstürme des »World Trade Centers« in New York, die am 11. September 2001 einem terroristischen Anschlag zum Opfer fielen, 1966-73 von dem Architektenteam Minoru Yamasaki, Emery Roth & Sons gebaut, die mit ihren jeweils 110 Geschossen und gut 412 m Höhe seitdem die Skyline von Manhattan dominieren. Lange Jahre höchstes Gebäude der Welt war der 443 m hohe stufenförmige »Sears Tower« in Chicago, der 1974 von dem Architekturbüro SOM fertig gestellt wurde.Das neue Bauen - Postmoderne und aktuelle EntwicklungenBeide Bauten stehen für das Ende einer Entwurfshaltung, bei der die technischen Möglichkeiten im Vordergrund standen und die Außenwirkung des Gebäudes schematisch behandelt wurde. Demgegenüber entstand Mitte der 70er-Jahre wieder ein bevorzugtes Interesse an den gestalterischen Möglichkeiten im Hochhausbau. Man suchte nach auffälligen Formen und Fassaden, die Interesse wecken sollten und durch den individuellen Ausdruck des Gebäudes die Rendite des Bauherrn sicherten. Ein typisches Hochhaus dieser Ausprägung ist das 1984 von Philip Johnson und John Burgee in New York fertig gestellte 195 m hohe »American Telephone & Telegraph Building«, kurz AT & T genannt, das zu einem der meistdiskutiertesten Hochhäuser überhaupt wurde.Seit den 90er-Jahren wurde weltweit eine Reihe von Vorschlägen erarbeitet für extreme Türme mit teilweise über 1 000 m Höhe. Ein erstes Ergebnis dieser neuerlichen Höhenjagd sind die von Cesar Pelli 1997 fertig gestellten »Petronas Towers« in Kuala Lumpur, mit ihrer Rekordmarke von 452 Metern.Eine andere Entwicklung der letzten Jahre versucht den energetischen Problemen, die ein Hochhaus grundsätzlich aufwirft, durch ausgeklügelte Fassadensysteme und optimierte Gebäudetechnik zu begegnen. Aktuelles Beispiel dieser auch als ökologisches Hochhaus bezeichneten Gebäudegeneration ist der 1997 eingeweihte, ohne Antenne rund 259 m hohe Verwaltungsneubau der Commerzbank in Frankfurt am Main von Norman Foster.Walter Schoeller
Universal-Lexikon. 2012.